Nachhaltigkeitsmarketing … Trend-Surfen auf der (inflationären) Welle des „Guten“?

v.l.n.r. Sabine Häring (Miele & Cie. KG), Gerd Oliver Seidensticker (Textilkontor Walter Seidensticker GmbH & Co. KG), Sabine Schoner (Kultur Räume Gütersloh), Frank Seidensticker (Textilkontor Walter Seidensticker GmbH & Co. KG), Nicole Seidensticker-Delius (Textilkontor Walter Seidensticker GmbH & Co. KG)
15. August 2022
Seidensticker Group Unternehmenszentrale

Nachhaltigkeitsmarketing …

Trend-Surfen auf der (inflationären) Welle des „Guten“?

(Bielefeld, 15.08.2022) „Endlich ist es geschafft“, freut sich Programmplanerin Sabine Schoner über die ausgebuchte Veranstaltung des Marketing Clubs OWL Bielefeld in den Räumlichkeiten der Textilkontor Walter Seidensticker GmbH & Co. KG. Wegen der Corona-Pandemie musste der Vortrag zum Thema Nachhaltigkeitsmarketing mehrfach verschoben werden. Das Nachhaltigkeit bei der Seidensticker Group weder bloßer Trend noch Lippenbekenntnis ist, zeigten die spannenden Ausführungen zum Thema.

 

„Als Familienunternehmen tragen wir Verantwortung. Wir produzieren bereits seit 27 Jahren in Asien und möchten in Hinblick auf Produktionsbedingungen unseren Kindern mit gutem Gewissen in die Augen schauen können“, macht geschäftsführender Gesellschafter Gerd Oliver Seidensticker deutlich und gibt einen kurzen Abriss über das 1919 von Walter Seidensticker gegründete Unternehmen. Ein Meilenstein in der Firmenhistorie war seinerzeit die Einführung des Taktfließbandes. Produzierte eine Näherin zuvor ein Hemd pro Tag, verdreifachte sich damit die Produktion. Heute sind es bis zu 14 Hemden am Tag. Ende der 1960er und zu Beginn der 1970er Jahre entwickelte sich Seidensticker zur Marke samt Schwarzer Rose auf Hemden und Blusen. Bereits 1964 wurden Kontakte nach Hongkong aufgenommen: der Beginn des Handelswareneinkaufs. Zehn Jahre später wurde mit der Seidensticker Overseas Limited ein eigenes Beschaffungsbüro gegründet, das bis heute die gesamte Produktion mit vier eigenen Betrieben im asiatischen Raum steuert. Eine Reise nach Hongkong dauerte damals übrigens 27 Stunden. Neben der Marke Seidensticker fertigt die Gruppe mit „Seidensticker Private Label“ Textilien für Marken Dritter, wie u. a. Lidl, Walbusch. P & C, Camel active. Ein reines B2B-Geschäft.

 

C(S)R – mehr als „nur“ sozial

 

Die Seidensticker Group ist der Überzeugung, dass Unternehmen nicht „nur“ eine soziale Verantwortung tragen, sondern neben einer ökologischen auch eine digitale. „Schließlich müssen wir sorgfältig mit den Daten unserer Kunden umgehen“, berichtet der zugeschaltete Nico Kemmler,  Prokurist und CR-Chef bei der Seidensticker-Gruppe. Eine konsequente CR-Entwicklung, eine die den Kunden im Blick behält, ist die Herausforderung. Laut einer Studie können sich 73 Prozent der Befragten vorstellen, nachhaltig produzierte Kleidung zu kaufen. Knapp die Hälfte sieht die Hersteller in der Verantwortung und erwartet eine entsprechende Kennzeichnung der Ware.

Die EU hat das Ziel ausgegeben, bis 2050 ein klimaneutraler Kontinent sein zu wollen. Und schon jetzt haben sich viele Marken, wie z. B. Prada oder Adidas auf den Weg gemacht und arbeiten mit recycelten Materialien. „Seidensticker möchte Teil der Lösung sein“, betont Nico Kemmler, stellt dabei neben der Ökologie Handlungsfelder, wie Arbeitsbedingungen, Kinderarbeit in den Fokus. CR ist Chefsache bei Seidensticker. Dazu wurde ein CR-Stab und zudem ein CR-Gremium installiert, das die Strategie überwacht und gegebenenfalls Handlungen anmahnt. Das Gremium ist mit Mitgliedern aller relevanten Business Units besetzt – vom Einkauf über die Produktion, Vertrieb, Marketing, PR bis hin zur Geschäftsleitung. Ziele der Strategie werden diskutiert und die Ergebnisse in die Units getragen. 

 

Akribisch im Detail

 

Wenn man bedenkt, dass es 125 Beteiligte gibt, die in die Produktion bzw. Lieferkette eines Hemdes involviert sind, deutet sich hier schon die Komplexität an, wenn man nachhaltig wirtschaften will. „Und dabei ist ein Hemd noch ein vergleichsweise einfaches Produkt“, sagt Gerd Oliver Seidensticker. „Bei den Lieferketten muss man die eigenen Risiken kennen und einschätzen. Wir haben genau geprüft, welche Hebel wir haben. „In den Nähbetrieben in Asien herrscht ein geringer Automatisierungsgrad“, ergänzt Nico Kemmler. „Zwischen 70 und 80 Prozent der Belegschaft ist weiblich, die Löhne sind gering und es fallen viele Überstunden an. Beim Anbau von Baumwolle, die sehr wasserintensiv ist, wird vielfach mit gentechnisch verändertem Saatgut gearbeitet, Pestizide kommen zum Einsatz und zum Färben der Stoffe werden chemische Stoffe  verwendet. Die Entwässerung ist unzureichend und der Lärmpegel in den Betrieben unglaublich hoch. Kinderarbeit ist ebenfalls ein Thema.“ Um diesen Problemfeldern zu begegnen, hat die Seidenstick Group 10 Grundsätze für faire und ökologisch vertretbare Produktionsbedingungen – angefangen bei den Rohstoffen – formuliert. „Die Produktion und auch unsere Lieferanten werden regelmäßig vor Ort kontrolliert, von uns oder externen Dritten. Wir lassen uns auch von Nichtregierungsorganisationen überprüfen“, unterstreicht der CR-Chef den Anspruch des Bielefelder Unternehmens.  

 

Wirtschaftlichkeit vs. Nachhaltigkeit?

Ganz klar, wer auf faire Arbeitsbedingungen setzt und ökologisch produzieren will, muss mehr Geld in die Hand nehmen. Die Frage ist, wie viel ist Endverbraucher gewillt, für ein nachhaltig produziertes Hemd zu bezahlen? Folgt der Kunde, dem eigenen Anspruch, dass ihm Nachhaltigkeit wichtig ist?

Seit einem Jahr kommuniziert Seidensticker über die Anstrengungen, die in puncto Nachhaltigkeit unternommen werden. „Aktiv und mit breiter Brust“, wie Gerd Oliver Seidensticker berichtet. Die nachhaltigen Hemden, Blusen und Co. der Marke Seidensticker sind durch ein Signet erkennbar: „Together responsible“. Die Gruppe folgt dem Credo „Verantwortung entsteht da, wo Wirkung erzielt werden kann.“ Dazu zählen folgende Aspekte bzw. Handlungsfelder: Due Dilligence, nachhaltige Rohstoffproduktion (insbesondere Baumwolle), umweltfreundliche Gewebeherstellung, faire Produktionsbedingungen, Transparenz & Rückverfolgbarkeit, Circularity, Umwelt & Klima sowie Stakeholder Engagement.

Und wie sieht es aus Marketingsicht aus? Lohnen sich die Anstrengungen? Bereits 2018 wurde die Seidensticker Group mit dem CSR-Preis OWL ausgezeichnet. Und im vergangenen Jahr wurde das Familienunternehmen von der „Absatzwirtschaft“ und dem Deutschen Marketingverband (DMV) in der Kategorie „Beste Nachhaltigkeitsstrategie“ mit dem renommierten Marken Award ausgezeichnet. Mit ihrer Nachhaltigkeitsstrategie inklusive des neuen Product Labelings „Together Responsible” konnte die Marke Seidensticker die hochkarätig besetzte Jury von Fachleuten aus Management, Marketing, Medien und Agenturen überzeugen.

Soweit zur Marke. Wie sieht es im B2B-Bereich aus, die andere Säule der Seidensticker Group? „Das Seidensticker Private-Label-Geschäft stellt noch mal andere Anforderungen an das CR-Team als die Marke Seidensticker“, so Nico Kemmler. Dazu gehört, dass die Verantwortung für das Thema Nachhaltigkeit auf die Vorproduzenten abgewälzt wird. Es besteht eine komplexe Dokumentationspflicht mit einer Vielzahl von Öko- und Fairtrade-Labeln und Audits, die sich zum Teil sogar widersprechen. Und der Lieferkettensorgfaltspflicht muss nachgekommen werden. Dadurch, dass sich Seidensticker bereits so rechtzeitig mit der Nachhaltigkeitsstrategie aufgestellt hat, zahlt das nun auch auf das B2B-Geschäft ein. Im Bereich Private Label konnte die Gruppe ein deutliches Wachstum verzeichnen. 

„Wir sind keine Öko-Marke“, macht Gerd Oliver Seidensticker zum Abschluss des spannenden Vortrags noch einmal deutlich, „aber Nachhaltigkeit ist ein wichtiger Bestandteil unserer Strategie.“

 

Text: Eike Birck

Fotos: Sarah Jonek

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